• Es sind wieder ein paar schöne Fotobeiträge eingetrudelt. Schau sie dir doch einmal hier an und stimme für deinen Favoriten.

Alles Fetisch oder was? (Ist die normale Attraktion nur ein zerstreuter Fetisch?)

C
Benutzer97250  (43) Meistens hier zu finden
  • #1
Hallo,


mir ist erst kürzlich dieser Artikel in die Hände gefallen:

Deutsches Ärzteblatt: Archiv "Leitsymptome süchtig-perverser Entwicklungen" (13.12.2002)

Er stammt von Volkmar Sigusch, einem Begründer der Sexualwissenschaften in Deutschland.

Im Text heißt es unter anderem:

Der Fetischismus wird von den meisten Experten als Modell der sexuellen Perversion angesehen (1, 6). Tatsächlich ist bei jeder sexuellen Perversion der psychische Mechanismus der Fetischisierung oder der fetischistischen Inszenierung von zentraler Bedeutung für die sexuelle Erregung und Betätigung. Ein Segment oder eine Szene des immer komplexen sexuell-geschlechtlichen Geschehens wird sexualisiert, dominiert alle anderen Segmente oder Szenen und ist für den Perversen unverzichtbar.
In diesem Sinn wäre beispielsweise ein heterosexueller Mann dann pervers, wenn er nur durch das Belauschen einer urinierenden Frau zum
sexuellen Höhepunkt gelangen kann. Bei der Perversion sind alle Sinne und alle Sensationen der Kindheit wie in einem Fetisch zusammengeschoben. Bei der normalen Sexualität liegt dagegen eine Zerstreuung vor: Haut, Brust, Haare, Gesäß, Ausscheidungen, Stimme, Kleidungsstücke und anderes werden mehr oder weniger milde fetischisiert, ohne zum Reiz schlechthin zu werden. Ohne eine gewisse Fetischisierung aber erlischt das Sexualbegehren bei normaler Sexualität sehr schnell.
Das Geheimnis jener Paare, die viele Jahre immer wieder erregend miteinander sexuell verkehren, liegt offenbar darin, dass sie durch eine milde perverse Inszenierung wirksam aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind, am besten ohne es zu wissen.

Süchtigkeit
Mit dem Zwang zur Manifestation, Sexualisierung und Fetischisierung ist ein süchtiges Erleben verbunden. Wird das perverse Tun unterbunden, kommt es zu Entzugserscheinungen wie beispielsweise psychosomatischen Beschwerden oder einer Depression. Nur wenn der Suchtcharakter des sexuellen Geschehens unübersehbar ist, sollte die Diagnose Perversion beziehungsweise süchtig-perverse Entwicklung gestellt werden.
Klinisch ist also das Leitsymptom der Süchtigkeit entscheidend.


Lest Euch die Sache mal durch und sagt mir, was ihr davon haltet.

Herzlich,
Captain
 
Shiny Flame
Benutzer42813  (41) Beiträge füllen Bücher
  • #2
In dem Artikel geht es um die Abgrenzung von Neosexualität zu krankhaftem Fetischismus. Es ist ein Fachartikel, daher ist er trocken und mühsam zu lesen, aber inhaltlich ist er so weit okay, so weit ich als medizinische und psychologische Laiin erkennen kann.

Der Punkt, dass eine gewisse "Fetischisierung", also "sexuelle Konnotierung" bestimmter Elemente jenseits der primären Sexualorgane für eine längerfristig erfüllende Sexualität in einer Partnerschaft sorgen kann (bei dir fett hervorgehoben), klingt für mich auch absolut nachvollziehbar.
 
R
Benutzer Gast
  • #3
Der Punkt, dass eine gewisse "Fetischisierung", also "sexuelle Konnotierung" bestimmter Elemente jenseits der primären Sexualorgane für eine längerfristig erfüllende Sexualität in einer Partnerschaft sorgen kann (bei dir fett hervorgehoben), klingt für mich auch absolut nachvollziehbar.

Dem schließe ich mich an.
 
C
Benutzer42876  Meistens hier zu finden
  • #4
C
Benutzer97250  (43) Meistens hier zu finden
  • Themenstarter
  • #5
Puh! So viel Eintracht! Das ist ja zum Speien! :zwinker:


Nach Sigusch sind wir also alle in gewisser Weise Fetischisten.
Zumindest, wenn wir eine langjährige sexuell nicht dysfunktionale Beziehung haben.

Sigusch sagt, ohne eine gewisse Fetischisierung geht es nicht.
Das war mir neu, klingt aber auch für mich einleuchtend.

Und ja, der Artikel ist wirklich stellenweise schwer zu durchdringen. Umso besser, da bleibt man fit!

:smile:


Edit:

Und was meint ihr dazu?
In den Neosexualitäten steht das triebhaft Sexuelle im alten Sinne nicht mehr im Vordergrund. Sie sind zugleich sexuell und nonsexuell, weil Selbstwertgefühl, Befriedigung und Homöostase nicht nur aus einer paraperversen Fetischisierung, aus der Mystifikation der Triebliebe und dem Phantasma der orgastischen Verschmelzung beim Geschlechtsverkehr gezogen werden, sondern ebenso oder stärker aus dem Thrill, der mit der nonsexuellen Selbstpreisgabe und der narzisstischen Selbsterfindung einhergeht. Außerdem oszillieren sie zwischen fest und flüssig, identisch und unidentisch und sind oft sehr viel passagerer als fixierte Perversionen.
 
Lotusknospe
Benutzer91095  Team-Alumni
  • #6
Eine "Fetischisierung" muss ja nicht unbedingt einen Fetisch zur Folge haben. Für mich bedeutet das einfach nur, dass da eine bestimmte geteilte Vorliebe vorhanden ist, die eben auch zelebriert wird. Der Autor verwendet eine eher breite Definition von "Fetisch". Das ist das einzige, was man ihm vorwerfen könnte. Seine These an sich finde ich eigentlich sehr nachvollziehbar.
 
C
Benutzer100759  Beiträge füllen Bücher
  • #7
Also das mit dem Definitionszerfall des Fetisches fand ich jetzt persönlicher nicht sooo interessant (bißchen alter Hut, sorry), den interessantesten Drehpunkt des Artikels fand ich diesen Nebensatz:

In den Neosexualitäten steht das triebhaft Sexuelle im alten Sinne nicht mehr im Vordergrund. Sie sind zugleich sexuell und nonsexuell, weil Selbstwertgefühl, Befriedigung und Homöostase nicht nur aus einer paraperversen Fetischisierung, aus der Mystifikation der Triebliebe und dem Phantasma der orgastischen Verschmelzung beim Geschlechtsverkehr gezogen werden, sondern ebenso oder stärker aus dem Thrill, der mit der nonsexuellen Selbstpreisgabe und der narzisstischen Selbsterfindung einhergeht.

Ein gewisser Autor nannte das mal die Verschiebung hin zum Sex als Flipper-Freispielklingeln und entspricht auch so meiner gefühlten Wahrnehmung. Gar nicht so unbedenklich, wenn man mich fragt.
 
casanis
Benutzer77547  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #8
Ich halte den Artikel für ziemlich wirr und begriffliche unscharf.

Was soll z.B. das mit der "milden Fetischisierung"? Entweder etwas ist ein Fetisch oder eben nicht. Zumindest wenn man die klassische Definition von Fetischismus zu Grunde legt.
In dem Satz mit der "milden" und "verteilten" Fetischisierung innerhalb der "normalen" Sexualität, könnte man den Begriff der Fetischisierung auch einfach durch Erotisierung ersetzen. Dann würde er auch nocht stimmen. Erotik und Fetischismus sind aber nicht das gleiche.

Das mit dem Narzismus und der Neosexualität finde ich aber ganz einleuchtend.
 
Shiny Flame
Benutzer42813  (41) Beiträge füllen Bücher
  • #9
Na ja, das mit dem Narzissmus begreife ich noch nicht ganz. Ist sexuelles Vergnügen nicht immer narzistisch? Muss man das "fetischisierte" narzistische sexuelle Vergnügen unbedingt von dem "normalen" narzistischen sexuellen Verlangen abgrenzen? Ich meine, wenn ich Vanilla-Sex habe und dabei abgehe, bin ich auch mehr ich-bezogen und vor allem auf mein eigenes Vergnügen konzentriert, ganz ähnlich wie in einer SM-Session...

Ich begreif das "narzistisch" noch nicht so ganz, es wird irgendwie im Rahmen des Textes auch nicht definiert.
 
C
Benutzer97250  (43) Meistens hier zu finden
  • Themenstarter
  • #10
@chelle
Ja, genau die Passage war mir auch ins Auge gesprungen, ich hatte sie in meinem letzten Beitrag genau deswegen nochmal zitiert.

@Shiny
Vielleicht hilft der zweite Artikel beim Thema Narzissmus weiter?

@casanis
Also wirr finde ich den Artikel nicht unbedingt. Sigusch verwendet eben eine stark verdichtete Fachsprache mit vielen Anleihen aus der Soziologie, wenn ich mich nicht täusche. Darunter leidet natürlich die Verständlichkeit für Fachfremde. Wäre der Artikel nicht im Ärzteblatt publiziert worden sondern z.B. im Feuilleton einer Tageszeitung, hielte ich das für einen klaren Fall von Phrasendrescherei aus Geltungsbedürfnis.
Ich denke wir sind uns darin einig, dass eine möglichst undurchdringbare Sprache kein notwendiges und erst recht kein hinreichendes Kriterium für Wissenschaftlichkeit sein kann.

Ich würde mich auch nicht an der "milden Fetischisierung" aufhängen - das finde ich nicht schlimm, weil ich den Gedanken fließender Übergänge, die diese beschriebene Zerstreuung mit sich bringt, recht elegant finde.

Ein weiterer Artikel von Sigusch gibt's hier bei der Zeit:
Die Trümmer der sexuellen Revolution | wissen | ZEIT ONLINE


Ein Auszug:
Die Sexualwissenschaft müßte eigentlich betreten schweigen, wenn es um Eros geht. Denn auch ihr Erzeuger ist Anteros. Von kleinen Inseln abgesehen, hat sich in unserer Kultur keine ars erotica, sondern eine scientia sexualis entwickelt. Der Blick der dominierenden Wissenschaftler war immer kalt: Kein Geheimnis soll sein. Heute wissen alle Bescheid, und keiner hat eine Ahnung. Sexualwissenschaft existiert aber auch fort, weil das sexuelle Elend nicht verschwand. Kämen Wunsch und Befriedigung zueinander, kämen Dauer und Intensität zusammen, fielen Begierde und Liebe nicht auseinander, wüßten wir, was ein sexueller Rausch ist und könnten uns in ihn versetzen, scherten wir uns doch um wissenschaftliche Erörterungen überhaupt nicht. Und Eros lachte.
Mit der Rationalisierung, der Zerstreuung, der Kommerzialisierung und dem Zwang zur Vielfalt ist eine generelle Banalisierung des Sexuellen verbunden. Sexualität ist kulturell etwas weitgehend Selbstverständliches geworden wie Mobilität oder Urbanität. Manfrau tut es oder tut es eben nicht. Aus dem revolutionären Eros ist, etwas zu modern gesagt, Lean Sex geworden: selbstdiszipliniert und selbstoptimiert. Love Parades sind folglich der Inbegriff der Neosexualitäten. Werktags wird sauber und korrekt funktioniert, am Wochenende aber wird eine Techno-Sau durch den Tiergarten getrieben, die nur noch von ferne an die Verheißungen und Risiken des Gartens der Lüste erinnert.

Will heißen: Anders als noch '68 ist Sex heute nichts Herausforderndes, Revolutionäres mehr. Schad' drum! :smile:
 
simon1986
Benutzer6874  (38) Benutzer gesperrt
  • #11
Zitat: Von kleinen Inseln abgesehen, hat sich in unserer Kultur keine ars erotica, sondern eine scientia sexualis entwickelt. Der Blick der dominierenden Wissenschaftler war immer kalt: Kein Geheimnis soll sein. Heute wissen alle Bescheid, und keiner hat eine Ahnung.

Zitat: Mit der Rationalisierung, der Zerstreuung, der Kommerzialisierung und dem Zwang zur Vielfalt ist eine generelle Banalisierung des Sexuellen verbunden. Sexualität ist kulturell etwas weitgehend Selbstverständliches geworden wie Mobilität oder Urbanität. Manfrau tut es oder tut es eben nicht. Aus dem revolutionären Eros ist, etwas zu modern gesagt, Lean Sex geworden: selbstdiszipliniert und selbstoptimiert.


:jaa: So hätte ich es nicht schreiben können, aber so empfinde ich es auch.
(Nur "heute", "geworden" usw. kann ich nicht beurteilen, mir fehlt dazu die Erfahrung von "früher".)
 
Schweinebacke
Benutzer78484  Planet-Liebe-Team
Moderator
  • #12
Sexualität wäre halt scheisse, wenn es nur um mechanische Triebbefriedigung ginge. Und ohne ein gewisses, irrationales Abdriften ins Fetischhafte läuft es halt, wenn man mal ganz ehrlich ist, darauf hinaus. Sexualität ist nicht komplett kongruent mit unsererm vermeintlich rationalen Selbstbild. ´
 
B
Benutzer111357  Verbringt hier viel Zeit
  • #13
Ich habe manchmal den Eindruck, Sexualwissenschaftler reden so, weil sie zu wenig Sex haben.
 
BABY_TARZAN_90
Benutzer9517  (33) Benutzer gesperrt
  • #14
Ich habe manchmal den Eindruck, Sexualwissenschaftler reden so, weil sie zu wenig Sex haben.
Schreiben über Sex ist für sich schon eine Form von Sex. Da nehme ich mich selber nicht aus...

Das Problem ist einfach, dass dieser virtuelle Sex, dieses Schreiben (und Lesen) über Sex Rückwirkungen auf den realen Sex mit echten Menschen hat. So wird das Gehirn zum wichtigsten Geschlechtsorgan.
 
casanis
Benutzer77547  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #15
@casanis
Also wirr finde ich den Artikel nicht unbedingt. Sigusch verwendet eben eine stark verdichtete Fachsprache mit vielen Anleihen aus der Soziologie, wenn ich mich nicht täusche. Darunter leidet natürlich die Verständlichkeit für Fachfremde. Wäre der Artikel nicht im Ärzteblatt publiziert worden sondern z.B. im Feuilleton einer Tageszeitung, hielte ich das für einen klaren Fall von Phrasendrescherei aus Geltungsbedürfnis.
Ich denke wir sind uns darin einig, dass eine möglichst undurchdringbare Sprache kein notwendiges und erst recht kein hinreichendes Kriterium für Wissenschaftlichkeit sein kann.

Ich würde mich auch nicht an der "milden Fetischisierung" aufhängen - das finde ich nicht schlimm, weil ich den Gedanken fließender Übergänge, die diese beschriebene Zerstreuung mit sich bringt, recht elegant finde.

Ich bin schon in der Lage wissenschaftlich-verdichtete Fachsprache halbwegs zu verstehen. Glaube ich zumindest :zwinker:
Ich kitisiere nicht, dass er wissenschaftlich schreibt, sondern meine Kritik richtet sich im Gegenteil darauf, dass er wissenschaftlich "ungenau" argumentiert (jedenfalls nach meinem Verständnis). Das mache ich eben an diesem Passus über die "milde Fetischisierung" in längeren Beziehungen fest. Meines Erachtens hat das, was Sigusch da beschreibt, einfach überhaupt nichts mit "Fetischisierung" zu tun.

Aber im Großen und Ganzen würde auch ich Sigusch zustimmen.

---------- Beitrag hinzugefügt um 14:43 -----------

Na ja, das mit dem Narzissmus begreife ich noch nicht ganz. Ist sexuelles Vergnügen nicht immer narzistisch? Muss man das "fetischisierte" narzistische sexuelle Vergnügen unbedingt von dem "normalen" narzistischen sexuellen Verlangen abgrenzen? Ich meine, wenn ich Vanilla-Sex habe und dabei abgehe, bin ich auch mehr ich-bezogen und vor allem auf mein eigenes Vergnügen konzentriert, ganz ähnlich wie in einer SM-Session...

Ich begreif das "narzistisch" noch nicht so ganz, es wird irgendwie im Rahmen des Textes auch nicht definiert.

Was er sicherlich nicht damit meint, ist "Narzissmus" im Sinne eines klinischen Störungsbildes wie z.B. der "narzisstischen Persönlichkeitsstörung".

Meines Erachtens will er darauf hinweisen, dass aber in den neosexuellen Praktiken schon eine stärkere "Selbstbezogenheit" zum Ausdruck kommt, als im klassischen Sex.
Im "klassischen Sex" erfolgt die Befriedigung - wie er schreibt - primär aus der "orgastischen Verschmelzung" mit dem Sexualpartner.
Nach Sigusch spielt bei neosexuellen Praktiken auch noch etwas anderes viel stärker mit rein. Jedenfalls verstehe ich es so. Die Person erzielt einen wichtigen Teil der "Befriedigung" auch aus dem Blick auf sich Selbst innerhalb der Inszenierung. Dafür verwendet er halt den Begriff "narzisstisch".
Kann mich aber irren.
 
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Shiny Flame
Benutzer42813  (41) Beiträge füllen Bücher
  • #16
Hmm, wenn er das so meint, sehe ich das aber doch ein wenig anders... Zumindest nicht so klar abgegrenzt. Auch Vanilla-Sex gelingt besser und wird leidenschaftlicher, wenn beide Partner nicht ständig ihre eigenen Bedürfnisse im Interesse einer "Verschmelzung" zurückstellen, sondern wenn beide sich ihrem Genuss und ihren Gefühlen hingeben können, statt ständig nur auf die Reaktion des anderen zu achten (und gar nicht auf sich selbst). Und auch BDSM (meine "Neosexualität") erfordert ein sehr hohes Eingehen auf den Partner und ist keinesfalls eine reine "eigene Triebbefriedigung". Im Gegenteil - gerade im BDSM entsteht sehr viel Lust auch dadurch, dem anderen Lust zu bereiten, sowohl auf aktiver wie auch auf passiver Seite.

Ich kenne ja in meinem Leben beide Formen und erlebe beide als befriedigend - und beide Sexualitätsformen erfordern auf der einen Seite einen gesunden Egoismus zur Befriedigung des eigenen Triebes und auf der anderen Seite eine gesund entwickelte Empathie, um eben auch den anderen glücklich zu machen. Daher kann ich diesen postulierten Unterschied zwischen Vanilla-Sexualität und Neo-Sexualität in Bezug auf ein höheres Maß an "Narzissmus" (gesund oder krankhaft sei dahingestellt) nicht sehen und die diesbezügliche Auffassung nicht teilen.

***

Das Problem an solchen Artikeln ist natürlich immer, dass die Ärzte Leute wie mich gar nicht zu Gesicht bekommen :zwinker:. Die kriegen immer nur die Leute zu Gesicht, bei denen es eben irgendworan krankt und irgendwas eben ganz und gar nicht gesund verläuft.
 
casanis
Benutzer77547  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #17
Hmm, wenn er das so meint, sehe ich das aber doch ein wenig anders... Zumindest nicht so klar abgegrenzt. Auch Vanilla-Sex gelingt besser und wird leidenschaftlicher, wenn beide Partner nicht ständig ihre eigenen Bedürfnisse im Interesse einer "Verschmelzung" zurückstellen, sondern wenn beide sich ihrem Genuss und ihren Gefühlen hingeben können, statt ständig nur auf die Reaktion des anderen zu achten (und gar nicht auf sich selbst). Und auch BDSM (meine "Neosexualität") erfordert ein sehr hohes Eingehen auf den Partner und ist keinesfalls eine reine "eigene Triebbefriedigung". Im Gegenteil - gerade im BDSM entsteht sehr viel Lust auch dadurch, dem anderen Lust zu bereiten, sowohl auf aktiver wie auch auf passiver Seite.

Ich kenne ja in meinem Leben beide Formen und erlebe beide als befriedigend - und beide Sexualitätsformen erfordern auf der einen Seite einen gesunden Egoismus zur Befriedigung des eigenen Triebes und auf der anderen Seite eine gesund entwickelte Empathie, um eben auch den anderen glücklich zu machen. Daher kann ich diesen postulierten Unterschied zwischen Vanilla-Sexualität und Neo-Sexualität in Bezug auf ein höheres Maß an "Narzissmus" (gesund oder krankhaft sei dahingestellt) nicht sehen und die diesbezügliche Auffassung nicht teilen.

O.K. Da ich kein Experte bzgl. neosexueller Praktiken bin, weil ich sie nicht praktiziere, gehe ich mal davon aus, dass du dich besser auskennst.
Trotzdem versuche ich nochmal, Siguschs Argument - soweit ich das richtig verstehe - zu verteidigen. Kann aber sein, dass ich da einfach einem Irrtum über neosexuelle Praktiken aufsitze, weil ich mich da halt nicht wirlich auskenne. Ich vereinfache bewusst.

Ich glaube nicht, dass er einfach meint, dass bei "Vanilla-Sex" (den Begriff kannte ich gar nicht, was meint der denn genau?) jeder komplett auf den anderen fixiert ist und die eigenen Bedürfnisse keine Rolle spielen: quasi selbstloses gegenseitiges Liebegeben. Ganz und gar nicht. Auch beim Vanilla-Sex will man seine eigene Libido befriedigen unter anderem auch dadurch, dass der ANDERE einem Lust verschafft etc. pp. Ich denke Sigusch sieht das Lust-Erleben hier sehr "körpernah" und am ursprünglichen Zweck der Sexualität orientiert, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Freud würde das wohl als "genital" bezeichnen. Oder auf gut Deutsch: Im Zentrum steht das Miteinander-Ficken :zwinker:. Und natürlich besteht das auch aus Geben und Nehmen, wenns gut sein soll.

Bei den neosexuellen Praktiken kommt jetzt aber nochwas DAZU, was im Prinzip weniger "körpernah" ist. Er bezeichnet das - für meinen Geschmack etwas seltsam - als "non-sexuell": das Inszenatorische und die Wahrnehmung des Selbst in dieser Inszenierung. Da gehts quasi um die Frage: Mach ich vor dem Hintergrund meines Bildes von mir selbst in der vorliegenden Inszenierung eine "gute Figur" (blöder Ausdruck und triffts nicht wirklich, ich weiß). Da stehen also nicht nur libidinöse Impulse im Zentrum, sondern Identitätsfragen, Selbstbilder, Wirkung des Bildes "nach außen" uvm.
Kann natürlich Blödsinn sein.
 
Spiralnudel
Benutzer83901  (39) Planet-Liebe-Team
Moderator
  • #18
Zumindest nicht so klar abgegrenzt. Auch Vanilla-Sex gelingt besser und wird leidenschaftlicher, wenn beide Partner nicht ständig ihre eigenen Bedürfnisse im Interesse einer "Verschmelzung" zurückstellen, sondern wenn beide sich ihrem Genuss und ihren Gefühlen hingeben können
Das sehe ich auch so.

Nichtsdestotrotz irritiert mich die Formulierung, die chelle so schön hervorgehoben hatte; narzisstische Selbsterfindung und nonsexuelle Selbstpreisgabe? Muss ich mir das so vorstellen, dass - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass narzisstische Züge nicht notwendiger Weise negativ erfasst werden müssen - beide Partner ihr Inneres nach außen kehren und somit verletzlich werden, während sie ihre sexuellen Energien und Triebe eigentlich auf sich selbst konzentrieren und richten und ihre eigenen Bedürfnisse denen des Partners überordnen? Für mich klingt das nach gegenseitigem Missbrauch, wenn auch recht milde. :ratlos:
Nun verstehe ich nichts von BDSM, meine ganz eigene "Neosexualität" sieht auch ganz anders aus, aber ich dachte persönlich immer, dass auch BDSM in allen denkbaren Praktiken irgendwie noch altruistischer aussieht. Aber ich kann mich irren.

Aber allein schon dieser (konstruierte?) Gegensatz von paralleler Selbstpreisgabe und Selbstbefriedigung (nicht wörtlich zu verstehen) wirkt auf mich bedenklich - und vor allem ist diese Konstellation für mich nur schwer vorstellbar und erweckt den Eindruck, als erhöhten derartige Neosexualitäten die Isolation beider Partner. :hmm:

Aber vielleicht denke ich da gerade auch einfach zu kompliziert und dadurch schlichtweg falsch. :grin:
 
casanis
Benutzer77547  Planet-Liebe Berühmtheit
  • #19
Off-Topic:
Irgendwie fühle ich mich durch die Diskussion schon in der oben geäußerten Auffassung bestätigt, dass Sigusch nicht besonders klar und genau argumentiert. Schließlich muss man hier ja scheinbar sowas wie "Exegese" betreiben, was m.E. nicht unbedingt an einer Fachsprache liegt und gerade bei wissenschaftlichen Texten eigentlich nicht unbedingt angestrebt werden sollte
 
Shiny Flame
Benutzer42813  (41) Beiträge füllen Bücher
  • #20
Off-Topic:
Da magst du Recht haben, casanis...


Nun verstehe ich nichts von BDSM, meine ganz eigene "Neosexualität" sieht auch ganz anders aus, aber ich dachte persönlich immer, dass auch BDSM in allen denkbaren Praktiken irgendwie noch altruistischer aussieht. Aber ich kann mich irren.

BDSM kann manchmal genauso "altruistisch" sein wie ein Blowjob, bei dem eben nur einer kommt und der andere gibt und glücklich macht... Aber es gibt auch die in meinen Augen weniger gesunde Form (z.B. bei einem Bekannten von mir), in der ein Mensch einen Fetisch (sei es Latex, sei es in seinem Fall vollständige Keuschhaltung) so sehr begehrt und für seine sexuelle Befriedigung benötigt, dass der Mensch dahinter zweitrangig wird. Das wäre in der Vanilla-Sexualität damit vergleichbar, dass jemand einfach nur ficken will, egal wen und ohne Gefühle - und das ist tatsächlich narzistisch.

Es gibt diese ich-bezogene Form der Triebbefriedigung bei Vanilla und BDSM, aber es ist nicht die breite Masse, weder bei Vanilla noch bei BDSM, die so was so ausleben.

Muss ich mir das so vorstellen, dass - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass narzisstische Züge nicht notwendiger Weise negativ erfasst werden müssen - beide Partner ihr Inneres nach außen kehren und somit verletzlich werden, während sie ihre sexuellen Energien und Triebe eigentlich auf sich selbst konzentrieren und richten und ihre eigenen Bedürfnisse denen des Partners überordnen? Für mich klingt das nach gegenseitigem Missbrauch, wenn auch recht milde.

Den Satz von dir verstehe ich nicht ganz, daher wäre es nett, wenn du ihn erläuterst? Vielleicht irgendwie mit Beispiel oder so - ich habe zwar ein abgeschlossenes Studium, aber ich war immer der Fan der wirklich guten Professoren, die ihre Theorien mit anschaulichen Beispielen verdeutlichen konnten...

Off-Topic:
@ casanis noch mal:
"Vanilla-Sex" (den Begriff kannte ich gar nicht, was meint der denn genau?)

Vanilleeis ist der "gemeinsame Nenner" :zwinker:. Wenn man Eis für viele Leute servieren muss, dann wählt man normalerweise Vanille-Eis, weil damit eigentlich so gut wie jeder was anfangen kann. Ähnlich wie es im Sexualleben viele Dinge gibt, mit denen so gut wie jeder was anfangen kann, zumindest die breite Masse. Zärtlichkeiten, Leidenschaft, Petting, Verkehr in verschiedenen Stellungen, Oralverkehr... Das mag so gut wie jeder, genau wie Vanilleeis. Vanilla-Sex ist also ein Überbegriff für diese Praktiken und allgemein für Praktiken, die normalerweise so gut wie jeder mag, von denen manche Leute manchmal eben Abwechslung wollen. Ich liebe z.B. Spaghetti-Eis mit Pistazzie statt Vanilleeis, wenn ich im Eiscafé bin...
 
Spiralnudel
Benutzer83901  (39) Planet-Liebe-Team
Moderator
  • #21
Off-Topic:
Ich schließe mich casanis da auch an...


Es gibt diese ich-bezogene Form der Triebbefriedigung bei Vanilla und BDSM, aber es ist nicht die breite Masse, weder bei Vanilla noch bei BDSM, die so was so ausleben.
Ich verstehe, auch anhand deines Beispiels wird ja deutlich, dass es sowohl altruistische als auch narzisstische Züge gibt. Ich muss zugeben, ich habe mich damit nie befasst. Noch platter ausgedrückt: ich hatte Sex, aber ich habe nicht angefangen ihn und mein Verhalten dabei zu analysieren. :link:
Den Satz von dir verstehe ich nicht ganz, daher wäre es nett, wenn du ihn erläuterst?
Ich habe da eine sehr verschwommene BDSM-Szene vor meinem geistigen Auge, die aber nur sehr schwer zu fassen ist. Aber ich versuche es mal:

A und B praktizieren Bondage, B wird gefesselt. A ist nun so sehr auf seine eigene Befriedigung "fixiert", dass er Bs Bedürfnisse kaum wahrnimmt, obwohl B sich ja "ausliefert" (im Sinne von absoluter Selbstpreisgabe). Im Gegenzug verlangt B Techniken von A, die B für seine eigene Befriedigung benötigt, die aber prinzipiell nicht dem entsprechen, was A an Wünschen preisgibt. Sie leben aneinander ihren Trieb aus ohne aber auf den geäußerten Trieb des Partners einzugehen; sie bleiben dabei mehr oder weniger isoliert und bieten gleichzeitig eine größere "Angriffsfläche".
Natürlich ist das kein Missbrauch, da habe ich mich wohl etwas falsch ausgedrückt, sondern eher gegenseitiger Gebrauch, aber in diesem Beispiel sehe ich Tendenzen, die ich persönlich als bedenklich empfinde. Ähnlich wie in dem Beispiel, das du genannt hast.

Aber wie gesagt, ich bin ein Vanilla-Fan. Die wenigen an SM angelehnten Praktiken, die bei mir im Bett stattfinden (dürfen/sollen?), sind kaum der Rede wert. :zwinker: Und deshalb gebe ich ja auch zu, dass ich insofern nicht viel von BDSM verstehe.

Vielleicht habe ich den Absatz aus dem Artikel einfach missverstanden, weil ich selbst auch keine auffälligen narzisstischen Tendenzen im Bett zeige.
 
Shiny Flame
Benutzer42813  (41) Beiträge füllen Bücher
  • #22
Ich verstehe, auch anhand deines Beispiels wird ja deutlich, dass es sowohl altruistische als auch narzisstische Züge gibt. Ich muss zugeben, ich habe mich damit nie befasst. Noch platter ausgedrückt: ich hatte Sex, aber ich habe nicht angefangen ihn und mein Verhalten dabei zu analysieren. :link:

Ich habe da eine sehr verschwommene BDSM-Szene vor meinem geistigen Auge, die aber nur sehr schwer zu fassen ist. Aber ich versuche es mal:

A und B praktizieren Bondage, B wird gefesselt. A ist nun so sehr auf seine eigene Befriedigung "fixiert", dass er Bs Bedürfnisse kaum wahrnimmt, obwohl B sich ja "ausliefert" (im Sinne von absoluter Selbstpreisgabe). Im Gegenzug verlangt B Techniken von A, die B für seine eigene Befriedigung benötigt, die aber prinzipiell nicht dem entsprechen, was A an Wünschen preisgibt. Sie leben aneinander ihren Trieb aus ohne aber auf den geäußerten Trieb des Partners einzugehen; sie bleiben dabei mehr oder weniger isoliert und bieten gleichzeitig eine größere "Angriffsfläche".
Natürlich ist das kein Missbrauch, da habe ich mich wohl etwas falsch ausgedrückt, sondern eher gegenseitiger Gebrauch, aber in diesem Beispiel sehe ich Tendenzen, die ich persönlich als bedenklich empfinde. Ähnlich wie in dem Beispiel, das du genannt hast.

Aber wie gesagt, ich bin ein Vanilla-Fan. Die wenigen an SM angelehnten Praktiken, die bei mir im Bett stattfinden (dürfen/sollen?), sind kaum der Rede wert. :zwinker: Und deshalb gebe ich ja auch zu, dass ich insofern nicht viel von BDSM verstehe.

Vielleicht habe ich den Absatz aus dem Artikel einfach missverstanden, weil ich selbst auch keine auffälligen narzisstischen Tendenzen im Bett zeige.

Na ja, die von dir beschriebene Szene beinhaltet tatsächlich gegenseitiges narzistisches aneinander-abreagieren bei gleichzeitiger Selbstpreisgabe, ich verstehe jetzt besser, wie du es gemeint hast. In diesem Beispiel gibt B sich ja auch mit seinen dunklen, bösen Fantasien preis und bleibt dabei gleichzeitig alleine. Eine solche Szene entspräche/entspricht tatsächlich mehr einem gegenseitigen Benutzen als dem, was ich für mich gerne mit dem altmodischen Begriff "Liebesspiel" bezeichne.

Es ist natürlich nicht das, was ich normalerweise dabei empfinde und erlebe :zwinker:. Also, das erstere jetzt nicht. Ich mag "Liebesspiel" in vielen Facetten. Aber ich verstehe jetzt besser, wie die Idee von der narzistischen Selbstpreisgabe und der gegenseitigen isolierten Triebbefriedigung entstehen kann.

Dennoch denke ich, dass sowoh bei BDSM wie auch bei Vanilla eine solche gegenseitige narzistisch isolierte Selbstpreisgabe und Triebbefriedigung stattfinden kann , aber nicht muss, und man bei beiden Formen nach solchen Beispielen suchen und fündig werden kann. Dennoch besteht keines von beidem nur daraus, sondern im Gegenteil nur ein eher geringer Teil.
 
Spiralnudel
Benutzer83901  (39) Planet-Liebe-Team
Moderator
  • #23
Off-Topic:
Ah, sehr schön, dann hast du mich in meinem verworrenen Deutsch heute sogar richtig verstanden. :jaa:

Dennoch denke ich, dass sowoh bei BDSM wie auch bei Vanilla eine solche gegenseitige narzistisch isolierte Selbstpreisgabe und Triebbefriedigung stattfinden kann
Dazu hätte ich nun eben diese Frage:
Ich habe das nun in dem Artikel so verstanden, dass die "Neosexualität" (den Begriff finde ich übrigens auch so richtig zum :wuerg:smile: tendenziell eben so abläuft - was aber ganz sicher nicht immer der Fall ist, ein Gegenbeispiel, nämlich dich, habe ich ja schon. Und das finde ich bedenklich. Aber wäre so eine Tendenz wirklich bedenklich?
 
Shiny Flame
Benutzer42813  (41) Beiträge füllen Bücher
  • #24
Eine solche Tendenz wäre in meinen Augen genauso bedenklich wie Prostitution, bei dem ja auch zwei Menschen isolierte Bedürfnisse ausleben (nämlich nach Geld und nach Sex), genauso bedenklich wie eine Frau, die beim Sex an die Hausarbeit denkt, ihren Mann aber machen lässt, damit er nicht sauer ist und sie so ihr Bedürfnis nach Harmonie befriedigen kann...

Mit anderen Worten: Nicht schön, aber auch nicht pathologisch, weder bei vanilla noch bei BDSM. Nicht das, wovon man träumt und deutlich weniger als das, was man manchmal sogar tatsächlich finden kann, inklusive Liebe und allem, wenn man halt ganz viel Glück hat und irgendjemand da oben es gut mit einem meint...

***

Ich mag den Begriff "Neosexualität" übrigens deutlich lieber als die alten Begriffe "Perversion" oder "sexuelle Devianz", weil "Neosexualität" eben nicht wertet und nur sagt, dass es erst seit neuerem in den Bereich dessen, was als "normale Bandbreite von Sexualität" betrachtet wird, aufgenommen ist. Der Begriff selbst bezeichnet an und für sich einen Paradignmenwechsel in der Sexualforschung.

Nur das, was dieser Arzt dann bei der genaueren Exegese in Bezug auf Narzismus in die Neosexualität hineinlegt (und zwar nicht nur in ungesunden Einzelfällen, sondern offensichtlich ganz allgemein und normal), finde ich nicht richtig. Da entsteht in mir unwillkürlich der Verdacht, dass hier jemand in seinem eigenen "normalen" Sexualleben eben oft so ein isoliertes Bedürfnisbefriedigen erlebt und das jetzt auf "die anderen" projiziert...
 
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