Wenn Ältere oder Erwachsene Mädchen oder Jungen zu körperlichen oder mentalen (psychischen) Handlungen zwingen, spricht man von sexueller Belästigung oder gar Misshandlung. Weil Kinder und Jugendliche psychosexuell noch nicht richtig ausgebildet sind, können sie die Handlungen auch noch nicht richtig verstehen und einordnen. Das Mädchen oder der Junge kann deshalb auch noch nicht verantwortlich entscheiden. Der Täter befriedigt aufgrund des Macht- und Generationsgefälles und der Abhängigkeit des Kindes sein Machtbedürfnis. Sexueller Missbrauch ist also immer auch Machtmissbrauch verbunden mit der psychischen und/oder körperlichen Verletzung.

Das sind "sexuelle Handlungen":[/COLOR][/FONT]

  • Berühren und Streicheln der primären und sekundären Sexualorgane mit Händen, Zunge, Geschlechtsorganen und Gegenstände
  • Die orale, anale und vaginale Penetration mit Geschlechtsorganen oder Gegenständen
  • Das Zeigen von Bildern, Filmen oder realen Situationen, um sich oder das Mädchen/den Jungen sexuell zu stimulieren und/oder sich sexuell zu befriedigen oder befriedigen zu lassen (auch fallen darunter anonyme Anrufe sexuellen Inhalts)
  • Veranlassen von Berührungen am eigenen Körper (mit oder ohne Zwang), um sich dadurch sexuell zu befriedigen
  • Veranlassen sexueller Handlungen am Körper des Opfers
  • Fotografieren des Opfers nackt oder in sexuellen Posen
  • Veranlassen des Opfers zu sexuellen Handlungen mit Tieren
  • Der Gebrauch sexualisierter Worte, Blicke und Gesten, die das Mädchen/den Jungen zum Sexualobjekt herabstufen
Das bedeutet "Veranlassen":

  • "Überreden" des Mädchen oder Jungen, zum Beispiel durch Geschenke oder Versprechungen
  • Ausübung von Zwang, zum Beispiel durch Androhung von Bestrafung, Liebesentzug, oder Heimeinweisung
  • Vergewaltigung durch Hinwegsetzen über die körperlichen oder verbalen Widerstände des Mädchens oder Jungen
  • Verzerren der Realität durch gezielte Lügen ("Das machen alle Väter so.")
  • Anwendung spielerischer Tricks ("Komm, ich zaubere dir Schmetterlinge in den Bauch!")
Es werden keine Bewertungen oder Abstufungen der einzelnen Punkte vorgenommen! Keinesfalls soll hier der Eindruck entstehen, das Opfer stimme heimlich zu, wenn es "überredet" wurde!

Quelle: May, A. 1997: Nein ist nicht genug - Prävention und Prophylaxe, Donna Vita Verlag, Ruhnmark, S. 226 f.

Sexueller Missbrauch – eine alltägliche Situation

Laura sitzt abends in der S-Bahn. Plötzlich setzt sich ein Mann neben sie und rückt ihr immer näher auf den Pelz. Schließlich legt er sogar seine Hand auf ihr Knie. Laura bekommt es mit der Angst zu tun und fühlt sich belästigt. Sie raunzt den Typ an und setzt sich woanders hin.
Lisa findet ihren Klassenkameraden Paul schon lange nett. Auf einer Fete tanzen die beiden eng zusammen und fangen an zu knutschen. Später ziehen sie sich in ein leeres Zimmer zurück. Dort geht Paul Lisa unter die Bluse. Lisa findet das aufregend. Als Paul ihr in die Hose gehen will, ist ihr das aber zu viel. Sie sagt ihm: "Ey, lass das!" Paul versucht es trotzdem weiter, bis Lisa total genervt ist und ihn von sich stößt.
Volker geht aufs Bahnhofsklo. Wie aus heiterem Himmel steht ein Mann neben ihm und glotzt ihm auf den Penis. Volker ist das total unangenehm und peinlich. Ohne "sein Geschäft" zu verrichten, verschwindet er.

Solche und ähnliche Situationen kennen viele Jungen und fast alle Mädchen. Sexuelle Belästigungen (durch erzwungenen Körperkontakt, durch sexuelle Anspielungen oder sexistische Bemerkungen) gehören bei uns zum Alltag. Mädchen und Jungen, die Derartiges erlebt haben, wissen, wie unangenehm eine solche Erfahrung sein kann. Du fühlst Dich bedrängt und peinlich berührt. Du bekommst Angst und findest die Situation körperlich unangenehm. Du fühlst dich gedemütigt und vermeidest es beispielsweise hinterher eine Zeit lang, allein mit der S-Bahn zu fahren.
Viele Mädchen und Frauen trauen sich aus Angst vor sexueller Belästigung oder Vergewaltigung abends nicht allein auf die Straße oder haben zumindest ein ungutes Gefühl dabei. Ihre Bewegungsfreiheit ist durch diese Angst eingeschränkt. Eigentlich ist das eine Situation, die nicht hinzunehmen ist und auf die man in den letzten Jahren mit besserer Beleuchtung öffentlicher Plätze oder Bushaltestellen reagiert hat.

Die Grenzen bestimmst nur DU!

Während anonyme Situationen wie die in der S-Bahn oder auf der Bahnhofstoilette relativ leicht als sexuelle Belästigung eingeordnet werden können, fällt es einem meist viel schwerer, in Beziehungen mit einem Bekannten oder Freund die Grenzen zu bestimmen. Hier hilft es, sich zu fragen, ob ich mir das gewünscht habe, was ich selber gerne möchte und wie ich mich gefühlt habe, als es passierte. Wenn Du Dich zu etwas gezwungen gefühlt hast und es unangenehme Gefühle ausgelöst hat, war es nicht okay. Du hast dann das Recht zu sagen, dass Dir das nicht gefällt und darfst Dich ohne weiteres dagegen wehren. Denn Dein Körper gehört Dir. Und Du bestimmst ganz allein, wer ihn berühren darf und wer nicht! Dabei kannst Du auf Dein Gefühl vertrauen. Denn das sagt Dir ziemlich sicher, was Dir gefällt und was nicht.
Wehre Dich!
Mit dem Wehren ist das in solchen Situationen oft nicht so einfach. Manchmal kommt die Situation so überraschend, dass Du nicht so schnell reagieren kannst. Irgendwie fühlst Du Dich wie gelähmt. Hinterher ärgerst Du Dich dann, dass Dir nicht so schnell ein pfiffiger Spruch oder ein Tritt vors Schienbein gelungen ist. In anderen Situationen hat man eine leider nicht unberechtigte Angst, wie die Umwelt auf den Widerstand reagiert. Vor allem Mädchen müssen sich, wenn sie sich lautstark wehren, Sprüche anhören wie: "Stell Dich doch nicht so an, das machen doch alle Jungen" oder: "Das hat der doch gar nicht so gemeint!"
Wieder andere Situationen erscheinen einem vielleicht zu gefährlich, weil man nicht einschätzen kann, wie der Belästiger reagiert. Gewiss ist jedoch, dass Du Dich in jedem Fall wehren darfst. Sich wehren ist nicht hysterisch. Du darfst deutlich sagen, dass Du das nicht willst, Du darfst weglaufen, unhöflich sein, treten, motzen … Es gibt aber kein Patentrezept für Widerstand. Jede Situation ist anders, und jeder Mensch entwickelt eigene Widerstandsformen. Wichtig ist auch zu wissen, dass es nicht Dein Fehler ist, wenn Du es nicht schaffst, den Belästiger abzuwehren.
Gemeinsam sind wir stark!
Gerade Mädchen und Jungen, die beispielsweise von Lehrern oder Reit- und Fussballtrainern sexuell belästigt werden, brauchen Unterstützung. Oftmals sind sie in solchen Fällen nicht die einzigen, die sich belästigt fühlen. Sportlehrer, die Mädchen bei der Hilfestellung zwischen die Beine oder an die Brust greifen, machen dies meist nicht nur bei einem Mädchen. Wenn sich ein Mädchen traut, über diese Belästigungen zu sprechen, finden sich manchmal andere Mädchen, die sich solidarisieren. Gemeinsam mit einer Freundin oder in der Gruppe zu überlegen, was dagegen unternommen werden kann, hilft da weiter. Ein solches Problem könnt ihr aber nicht ohne Hilfe anderer Erwachsener lösen. Deshalb ist es ratsam, eine Vertrauensperson wie die Vertrauenslehrerin um Hilfe zu bitten.

Du wirst auch keine Petze sein! Hab keine Angst davor, anderen davon zu erzählen. Wer Dich als Petze hinstellt, fühlt sich vielleicht besonders cool, ist aber einfach nur dumm.
Lass Dich auch nicht von dummen Sprüchen wie "So sexy wie du Dich anziehst, ist das kein Wunder" verunsichern! Du trägst keine Schuld an einer sexuellen Belästigung! Du ziehst die Grenze, und wer sie überschreitet, weil er Dich anziehend findet, belästigt Dich, ohne dass Du die Schuld trägst! Auch vorherige Küsse sind keine Entschuldigung für einen Missbrauch!
Nicht wegschauen – habt Mut!

Viele sexuelle Belästigungen geschehen in der Öffentlichkeit. Oft schauen die Anwesenden jedoch nur tatenlos zu und lassen das Mädchen oder den Jungen allein. Deshalb wird an Erwachsene appelliert. Jungen und Mädchen, die sexuell belästigt werden, zur Seite zu stehen. Man beweist damit seinen Mut! Wenn einer damit anfängt, einen Belästiger daran zu hindern, werden ihm andere folgen, und der Junge oder das Mädchen hat eine Chance zu entkommen! Wenn nur einer sich den Belästigern entgegenstellt, wissen die Opfer, dass sie nicht alleine sind! Dass sie für uns existieren und dass wir ihnen zu Hilfe kommen!

Sexuelle Belästigung (in der Bekanntschaft) ist kein Kavaliersdelikt

Etwa 73 Prozent der Fälle sexuellen Missbrauchs geschehen im Bekanntenkreis (Angabe des Bundeskriminalamtes). 1999 wurden etwa 1.700 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung festgestellt. Wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nicht abschätzen, wird aber oft auf das zehn- bis 20-Fache geschätzt. Bei Missbrauch in der Bekanntschaft lässt Angst und Scham junge Mädchen und Jungen oft davor zurückschrecken, den Missbrauch anzuzeigen.
Stell Dir einmal vor, Dein eigener Vater hätte Dich dazu genötigt, ihn zu befriedigen. Das ist eindeutig eine sexuelle Belästigung, aber hättest Du den Mut, ihn anzuzeigen? Immerhin ist er Dein Vater. So denken sicherlich viele und versuchen ihr Gewissen damit zu beruhigen, dass "es ja nicht so schlimm" war. Aber genau dieses Denken lässt die große Dunkelziffer an sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen entstehen. Auch euer Vater, Bruder, Onkel, eure Mutter, Schwester, Tante sind in diesem Fall Täter und gehören dem Gesetz übergeben. So sehr ihr sie auch liebt und achtet: Belästigen oder missbrauchen sie euch sexuell, sind sie eben nicht mehr die lieben Väter, Mütter, Geschwister oder Nachbarn. Und woher wollt ihr wissen, dass sie nicht wieder kommen? Dass sie euch nicht ein zweites Mal belästigen? Dass sie nicht jemand anderen belästigen? Auch in einer Partnerschaft kann es zur sexuellen Belästigung/zum sexuellen Missbrauch kommen. Nicht weil ihr "ja mit ihm/ihr zusammen" seid, hat er das Recht, euch zu missbrauchen. Es gibt keinen Grund, der einen sexuellen Missbrauch rechtfertigt!

Was tun nach einer sexuellen Nötigung?

Du bist sexuell missbraucht worden? Dann sprich als erstes mit einem Menschen, dem Du voll und ganz vertraust! Das kann Deine Mutter sein, Deine beste Freundin, Dein Kumpel oder ein Lehrer. Zusammen könnt ihr dann zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Die Beamten werden Dich nach dem Tathergang fragen. Hab den Mut, genau zu schildern, was passiert ist. Die Person deines Vertrauens wird Dich sicherlich dabei unterstützen! Wenn Du die Person kennst, die Dich missbraucht hat, dann hab den Mut, das zu sagen, und gib den Namen der Person an.