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Benutzer203161 (19)
Ist noch neu hier
- #1
Hallo zusammen,
letztes Jahr wurde bei mir ein Hodenkarzinom im Stadium 3 diagnostiziert. Zu dem Zeitpunkt war ich 17 Jahre alt und ging in die 11. Klasse.
Um es kurz zu machen und auf den eigentlichen Punkt zu kommen: Ich gelte als geheilt.
Die Behandlung hat sich über 5 Monate erstreckt und die letzte Operation war am 30.11.2022.
Etwa 2 Monate vor der Diagnose hab ich relativ zufällig Kontakt zu jemandem aus meiner Stufe bekommen.
Wir haben uns eigentlich super verstanden und es gab nicht wirklich was, worüber ich mich beklagen konnte. Wir haben uns auch privat getroffen gehabt und bereits das nächste Treffen vereinbart, aber dann kam die Diagnose und alles war dahin.
Ich war bereits in sie verliebt und der erste Schritt war eine chirurgisch gesehen kleine Operation: Die Hodenentfernung. Man geht da an einem Tag ins Krankenhaus und kann den nächsten Tag schon wieder gehen, keine große Sache. Dienstag bin ich rein, die Woche drauf am Montag war ich schon wieder in der Schule, ich wollte sie einfach sehen. Dann kam in der darauffolgenden Woche leider die Nachricht: Krebs hat gestreut => Chemotherapie. Das geht alles relativ schnell und ich war dann 2 Wochen nach der erwähnten OP im Krankenhaus für die Chemo.
Das Schuljahr war zu dem Zeitpunkt quasi zu Ende und ich habe im Endeffekt nichts verpasst. Ein Zyklus geht 3 Wochen und ich bekam 3 an der Zahl. Nebenwirkungen hatte ich tatsächlich quasi keine, psychisch gesehen war es nur die Hölle.
Ein Zyklus besteht immer aus 1 Woche Krankenhaus, 2 Wochen zu Hause. Sprich: Der letzte Schultag fiel genau in die Zeit wo ich eh zu Hause war und entsprechend dachte ich mir: Komm, geh einfach in die Schule, dann siehst du sie wieder und ist ne Ablenkung. Sie wusste, dass ich an dem Tag kommen wollte. Leider hatte kurz vorher der Haarausfall begonnen und ich war zwar da, hatte aber in dem Moment nicht das Selbstbewusstsein trotz Glatze ihr Gesellschaft zu leisten.
Hinterher hat sie mich dann auf WhatsApp angeschrieben und gefragt wo ich denn war, weil sie mich leider gar nicht gesehen hätte. Ich hab ihr da dann versucht das zu erklären: Keine Reaktion.
Dann begannen die Sommerferien. Je länger die Behandlung dauerte, umso schlimmer war es für mich psychisch. Wie gesagt, ich hatte keine Nebenwirkungen (wenn man vom Haarausfall mal absieht). Aber man sitzt eine ganze Woche immer durchgehend im Krankenhaus, die erste Infusion läuft um 4 Uhr morgens und aufgrund der tollen Organisation war ich teilweise bis 22/23 Uhr fast durchgehend am Tropf. Man kann nichts machen und teilweise konnte ich nicht mal 2h im Klinikum rumlaufen. Die ganze Zeit das gleiche Zimmer zu sehen, war extrem.
Aber schlimmer war, dass ich gemerkt habe, wie wenig das Mädchen, dass ich aus der Schule eben kenne in der Situation zu mir gestanden hat. In den gesamten 5 Monaten, hat sie nicht ein Mal gefragt, wie es mir dabei eigentlich geht. Nur am Tag der Diagnose hat sie nach Details gefragt.
Ich kann nicht ganz in Worte fassen, wie das weh getan hat. Man liegt da im Krankenhaus und weiß nicht ob man das Überlebt (ja, Heilungsschance >= 95%, aber trotzdem...) und gleichzeitig sieht man, dass vom Verhalten her es der Person, die man liebt total am Arsch vorbei geht. Erschreckenderweise war sie da nicht mal die einzige. Aber ich musste mich auf mich selbst konzentrieren und hatte nicht die Kraft sie darauf anzusprechen.
Die letzte Chemo lief dann am 12.09.2022 => der Beginn des neuen (letzten) Schuljahres.
Ich war morgens in der Schule, war mittags zur Chemo im Krankenhaus und nachmittags wieder in der Schule. Gesehen hab ich sie an dem Tag noch nicht.
Dafür aber am Tag darauf.
Ich wusste nicht ganz wie ich mich verhalten sollte. Auf der einen Seite hab ich mich total gefreut sie zu sehen, auf der anderen Seite war ich immer noch enttäuscht und irgendwo auch sauer. Erstaunt hat mich: Sie hat sich genauso verhalten, wie vor der Diagnose.
Trotzdem konnte ich ihr Verhalten während meiner Behandlung nicht vergessen. Ich hab plötzlich alles was zwischen uns war vor diesem Hintergrund gesehen. Ich hab natürlich mit ihr geredet gehabt über ihr Verhalten während meiner Behandlung. Sie meinte, dass ich meinte, ich wolle bei meinen Mitmenschen nicht nur auf Mitleid stoßen. Das stimmt, das wollte nicht. Ich wollte als Mensch wahrgenommen werden. Kurzum: Ich hab gemerkt, dass das nichts bringt. Ich hab letztendlich einfach nur etwas von ihr hören wollen, dass mir das Gefühl gab, dass es ihr nicht egal war, aber das kam nicht. Eine Entschuldigung hätte mir schon gereicht.
Ich habe sie in der nächsten Zeit nicht links liegen gelassen, sondern bin von meiner Seite aus einfach nicht mehr auf sie zugegangen. Weil es mich einfach nur verletzt hat, musste ich auf Abstand gehen. Ich dachte mir, dass wenn ich nach ner Zeit darüber hinweg sehen kann, gehe ich nochmal auf sie zu. Ich habe sie trotz allem geliebt.
Das ging dann bis Ende 2022. In der Zwischenzeit hatten wir jemand neuen in unserer Stufe, mit der ich mich angefreundet hatte. Wir haben viel Zeit in der Schule miteinander verbracht, trafen uns regelmäßig usw. Ich mochte sie. Gefühle hatte ich für sie aber nie. Ích mag sie als Freundin.
Irgendwann hat das Mädchen, zu der ich auf Abstand gegangen bin, es dann nicht mal mehr hinbekommen mir in die Augen zu schauen, wenn wir aufeinander gestoßen sind. Auch ihre beste Freundin hatte irgendwann mir gegenüber Blicke drauf, die mich hätten töten können.
Am Jahresanfang stand dann bei uns allen die Abivorbereitung an.
Entsprechend waren wir alle im Stress und ich war quasi nur noch am lernen... Abitur rum... Ich hatte mittlerweile etwas Abstand zu allem bekommen und hab das Mädchen einfach mal gefragt, ob sie Lust hätte mit mir wo hinzugehen. Sie meinte.... nee, aktuell nicht. Ich wollte den Kontakt wieder intensivieren.
Jetzt ist das Schuljahr im Endeffekt rum und wir gehen in ein paar Wochen alle getrennte Wege. Ehrlich gesagt möchte ich sie nicht aus den Augen verlieren.
Ich frage mich, ob ich versuchen sollte mit ihr mal ein Gespräch über alles zu führen.
Mir geht einfach nicht aus dem Kopf, was ich falsch gemacht habe. Völlig egal, wie ich zur jeweiligen Person stehe: Wenn ich mitkriege, dass jemand, mit dem ich täglich Kontakt habe Krebs hat, versuche ich doch für ihn da zu sein oder nicht?
Eine Recherche von mir hat ergeben, dass dieses Phänomen übrigens "Cancer Ghosting" heißt. Erschreckenderweise erleben 65% aller Patienten, dass ein Kontakt zu einer nahestehenden Person vor der Behandlung bestand und hinterher quasi nicht mehr. Manche Statistiken gehen sogar noch höher.
Kann man meine Sichtweise verstehen? Hätte ich darüber eher hinwegsehen sollen mit der Begründung:
"Krebs ist für niemanden einfach. Sowohl für die Patienten als auch für die Bekannten und sie wollte sicher einfach nur das Richtige in der Situation tun bzw. wusste nicht wie sie sich verhalten soll?"
Ich weiß ehrlich gesagt langsam nicht mehr ob ich ein Ar*** in der Situation war. Gerade auch weil sie da wirklich nicht die einzige war, die sich so verhalten hat. Wochenlang hab ich mir die Frage gestellt: Was hast du nur falsch gemacht?
Zu Besuch ins Krankenhaus kam tatsächlich niemand von meinem Freundeskreis. Allerdings hat es mich bei denen nicht so extrem verletzt. Lediglich zwei Leute, mit denen ich vorher fast gar keinen Kontakt hatte kamen.
letztes Jahr wurde bei mir ein Hodenkarzinom im Stadium 3 diagnostiziert. Zu dem Zeitpunkt war ich 17 Jahre alt und ging in die 11. Klasse.
Um es kurz zu machen und auf den eigentlichen Punkt zu kommen: Ich gelte als geheilt.
Die Behandlung hat sich über 5 Monate erstreckt und die letzte Operation war am 30.11.2022.
Etwa 2 Monate vor der Diagnose hab ich relativ zufällig Kontakt zu jemandem aus meiner Stufe bekommen.
Wir haben uns eigentlich super verstanden und es gab nicht wirklich was, worüber ich mich beklagen konnte. Wir haben uns auch privat getroffen gehabt und bereits das nächste Treffen vereinbart, aber dann kam die Diagnose und alles war dahin.
Ich war bereits in sie verliebt und der erste Schritt war eine chirurgisch gesehen kleine Operation: Die Hodenentfernung. Man geht da an einem Tag ins Krankenhaus und kann den nächsten Tag schon wieder gehen, keine große Sache. Dienstag bin ich rein, die Woche drauf am Montag war ich schon wieder in der Schule, ich wollte sie einfach sehen. Dann kam in der darauffolgenden Woche leider die Nachricht: Krebs hat gestreut => Chemotherapie. Das geht alles relativ schnell und ich war dann 2 Wochen nach der erwähnten OP im Krankenhaus für die Chemo.
Das Schuljahr war zu dem Zeitpunkt quasi zu Ende und ich habe im Endeffekt nichts verpasst. Ein Zyklus geht 3 Wochen und ich bekam 3 an der Zahl. Nebenwirkungen hatte ich tatsächlich quasi keine, psychisch gesehen war es nur die Hölle.
Ein Zyklus besteht immer aus 1 Woche Krankenhaus, 2 Wochen zu Hause. Sprich: Der letzte Schultag fiel genau in die Zeit wo ich eh zu Hause war und entsprechend dachte ich mir: Komm, geh einfach in die Schule, dann siehst du sie wieder und ist ne Ablenkung. Sie wusste, dass ich an dem Tag kommen wollte. Leider hatte kurz vorher der Haarausfall begonnen und ich war zwar da, hatte aber in dem Moment nicht das Selbstbewusstsein trotz Glatze ihr Gesellschaft zu leisten.
Hinterher hat sie mich dann auf WhatsApp angeschrieben und gefragt wo ich denn war, weil sie mich leider gar nicht gesehen hätte. Ich hab ihr da dann versucht das zu erklären: Keine Reaktion.
Dann begannen die Sommerferien. Je länger die Behandlung dauerte, umso schlimmer war es für mich psychisch. Wie gesagt, ich hatte keine Nebenwirkungen (wenn man vom Haarausfall mal absieht). Aber man sitzt eine ganze Woche immer durchgehend im Krankenhaus, die erste Infusion läuft um 4 Uhr morgens und aufgrund der tollen Organisation war ich teilweise bis 22/23 Uhr fast durchgehend am Tropf. Man kann nichts machen und teilweise konnte ich nicht mal 2h im Klinikum rumlaufen. Die ganze Zeit das gleiche Zimmer zu sehen, war extrem.
Aber schlimmer war, dass ich gemerkt habe, wie wenig das Mädchen, dass ich aus der Schule eben kenne in der Situation zu mir gestanden hat. In den gesamten 5 Monaten, hat sie nicht ein Mal gefragt, wie es mir dabei eigentlich geht. Nur am Tag der Diagnose hat sie nach Details gefragt.
Ich kann nicht ganz in Worte fassen, wie das weh getan hat. Man liegt da im Krankenhaus und weiß nicht ob man das Überlebt (ja, Heilungsschance >= 95%, aber trotzdem...) und gleichzeitig sieht man, dass vom Verhalten her es der Person, die man liebt total am Arsch vorbei geht. Erschreckenderweise war sie da nicht mal die einzige. Aber ich musste mich auf mich selbst konzentrieren und hatte nicht die Kraft sie darauf anzusprechen.
Die letzte Chemo lief dann am 12.09.2022 => der Beginn des neuen (letzten) Schuljahres.
Ich war morgens in der Schule, war mittags zur Chemo im Krankenhaus und nachmittags wieder in der Schule. Gesehen hab ich sie an dem Tag noch nicht.
Dafür aber am Tag darauf.
Ich wusste nicht ganz wie ich mich verhalten sollte. Auf der einen Seite hab ich mich total gefreut sie zu sehen, auf der anderen Seite war ich immer noch enttäuscht und irgendwo auch sauer. Erstaunt hat mich: Sie hat sich genauso verhalten, wie vor der Diagnose.
Trotzdem konnte ich ihr Verhalten während meiner Behandlung nicht vergessen. Ich hab plötzlich alles was zwischen uns war vor diesem Hintergrund gesehen. Ich hab natürlich mit ihr geredet gehabt über ihr Verhalten während meiner Behandlung. Sie meinte, dass ich meinte, ich wolle bei meinen Mitmenschen nicht nur auf Mitleid stoßen. Das stimmt, das wollte nicht. Ich wollte als Mensch wahrgenommen werden. Kurzum: Ich hab gemerkt, dass das nichts bringt. Ich hab letztendlich einfach nur etwas von ihr hören wollen, dass mir das Gefühl gab, dass es ihr nicht egal war, aber das kam nicht. Eine Entschuldigung hätte mir schon gereicht.
Ich habe sie in der nächsten Zeit nicht links liegen gelassen, sondern bin von meiner Seite aus einfach nicht mehr auf sie zugegangen. Weil es mich einfach nur verletzt hat, musste ich auf Abstand gehen. Ich dachte mir, dass wenn ich nach ner Zeit darüber hinweg sehen kann, gehe ich nochmal auf sie zu. Ich habe sie trotz allem geliebt.
Das ging dann bis Ende 2022. In der Zwischenzeit hatten wir jemand neuen in unserer Stufe, mit der ich mich angefreundet hatte. Wir haben viel Zeit in der Schule miteinander verbracht, trafen uns regelmäßig usw. Ich mochte sie. Gefühle hatte ich für sie aber nie. Ích mag sie als Freundin.
Irgendwann hat das Mädchen, zu der ich auf Abstand gegangen bin, es dann nicht mal mehr hinbekommen mir in die Augen zu schauen, wenn wir aufeinander gestoßen sind. Auch ihre beste Freundin hatte irgendwann mir gegenüber Blicke drauf, die mich hätten töten können.
Am Jahresanfang stand dann bei uns allen die Abivorbereitung an.
Entsprechend waren wir alle im Stress und ich war quasi nur noch am lernen... Abitur rum... Ich hatte mittlerweile etwas Abstand zu allem bekommen und hab das Mädchen einfach mal gefragt, ob sie Lust hätte mit mir wo hinzugehen. Sie meinte.... nee, aktuell nicht. Ich wollte den Kontakt wieder intensivieren.
Jetzt ist das Schuljahr im Endeffekt rum und wir gehen in ein paar Wochen alle getrennte Wege. Ehrlich gesagt möchte ich sie nicht aus den Augen verlieren.
Ich frage mich, ob ich versuchen sollte mit ihr mal ein Gespräch über alles zu führen.
Mir geht einfach nicht aus dem Kopf, was ich falsch gemacht habe. Völlig egal, wie ich zur jeweiligen Person stehe: Wenn ich mitkriege, dass jemand, mit dem ich täglich Kontakt habe Krebs hat, versuche ich doch für ihn da zu sein oder nicht?
Eine Recherche von mir hat ergeben, dass dieses Phänomen übrigens "Cancer Ghosting" heißt. Erschreckenderweise erleben 65% aller Patienten, dass ein Kontakt zu einer nahestehenden Person vor der Behandlung bestand und hinterher quasi nicht mehr. Manche Statistiken gehen sogar noch höher.
Kann man meine Sichtweise verstehen? Hätte ich darüber eher hinwegsehen sollen mit der Begründung:
"Krebs ist für niemanden einfach. Sowohl für die Patienten als auch für die Bekannten und sie wollte sicher einfach nur das Richtige in der Situation tun bzw. wusste nicht wie sie sich verhalten soll?"
Ich weiß ehrlich gesagt langsam nicht mehr ob ich ein Ar*** in der Situation war. Gerade auch weil sie da wirklich nicht die einzige war, die sich so verhalten hat. Wochenlang hab ich mir die Frage gestellt: Was hast du nur falsch gemacht?
Zu Besuch ins Krankenhaus kam tatsächlich niemand von meinem Freundeskreis. Allerdings hat es mich bei denen nicht so extrem verletzt. Lediglich zwei Leute, mit denen ich vorher fast gar keinen Kontakt hatte kamen.